Semuc Champey ist ein einzigartiges Naturwunder im Herzen des Dschungels von Guatemala. Auf mystische Art teilt sich der Fluss auf einen oberen und unteren Arm. Und während unter der Erde die Wassermassen durch Kavernen donnern, plätschert oben smaragdgrünes Wasser über goldenen Terrassen.
Dies ist kein Bericht von diesen Terrassen. Dies ist eine Reise in die Höhlen von Semuc Champey.

Keine Lust auf mein Geschwafel? Hier geht’s direkt zu den Fakten

„Niemand wird eine Kerze anzünden, um sie hinter die Tür zu stellen.“

Paulo Coelho

Semuc Champey

Dies ist kein gewöhnlicher Blogeintrag. Dies ist der Bericht eines Überlebenden.

Man kann wohl sagen, dass ich bin ein Sprücheklopfer bin, ein klassisches Großmaul. Ich bin gerne für waghalsige Aktionen zu gewinnen, nur um hinterher zu sagen, dass alles easy peasy war. Aber über das, was wir in Semuc Champey erleben durften, würde es mir im Traum nicht einfallen, etwas Verharmlosendes zu äußern.

Semuc Champey – googelt man diesen Namen, findet man Bilder eines traumhaften Naturwunders. Inmitten des tropischen Regenwaldes im Herzen Guatemalas teilt sich ein Fluss. Nicht – wie man vermuten würde – nach links und rechts, sondern nach oben und unten. Während der Großteil unterirdisch durch Kavernen schießt, plätschert ein kleiner Teil durch Pools und Kaskaden über eine natürliche Landbrücke. Türkisblaues Wasser auf sandsteinfarbenem Grund läd zum Baden ein, unbeeindruckt davon, dass die eigentlichen Wassermassen nur wenige Meter darunter entlang donnern.

Die Anreise

Wir buchten von Antigua aus einen Shuttle nach Semuc Champey. Das lief reibungslos, wie immer in diesem Land. Im Grunde ist so ziemlich jedes Hostel auch gleichzeitig Tourenvermittler, und sämtliche gängigen Touristenhotspots des Landes sind durch Shuttlebusse gut zu erreichen. Das klingt jetzt spießig wie eine Kaffeefahrt durch den Pfälzerwald. Tatsache ist jedoch, dass eine Reise mit den Öffentlichen deutlich länger dauert und kaum günstiger ist. Ziele wie Semuc Champey sind mit dem klassischen Chicken Bus ohnehin nicht zu erreichen. Und glaube mir: Auch im Shuttlebus bleibt das Reisen in Guatemala ein Abenteuer.

Die Fahrt ging unentwegt durch die Berge, Hügel und Täler. Dschungel wechselte sich mit Maisfeldern ab, und nicht selten schlängelte man sich eine gefühlte Ewigkeit ein Tal hinab, nur um nach der Überquerung eines Flusses auf der anderen Seite wieder hinauf zu ächzen. Weil ein Erdrutsch unsere eigentliche Route versperrte, fuhren wir notgedrungen durch Guatemala City. Auch das gehört zum Reisen in Mittelamerika dazu: Flexibilität.

In Guatemala City lässt man die Knöpfchen besser unten. Ein Busfahrer hatte mir Tags zuvor erzählt, dass es in den vergangenen Jahren deutlich sicherer geworden ist. Inzwischen wird nur noch jede 200. Busfahrt zwischen Antigua und der Hauptstadt überfallen. Damit wird man also zu 99,5% unbehelligt zum Flughafen gelangen. Ein Hoch auf die Stochastik!

Semuc-Champey-Hostel_2
Das Hostel war rustikal, aber stilgerecht für einen Dschungel…
Semuc-Champey-Hostel
Im Obergeschoss lag der Schlafraum – sicher vor wildem Getier.

Der frühe Wurm – wird gefressen

Die Eintönigkeit der Anfahrt war dem Reiseorganisator ein willkommener Katalysator, uns für den nächsten Tag zu einem gewaltigen Programm zu überreden, ein Abenteuerpaket das sich gewaschen hatte, und uns waschen würde. Wasser würde jedenfalls eine entscheidende Rolle spielen.

Auf der Ladefläche eines Pick-ups wurden wir mit gut 15 anderen Freiwilligen zum Schafott gekarrt, zu den unheiligen Hölen von Semuc Champey. Das erste was wir nach unserer Ankunft zu sehen bekamen war eine Gruppe junger Menschen, die sich von einer Brücke aus beachtlicher Höhe in einen Fluss stürzten.

„Das würd ich ja nicht machen“, sagte Clara. Ich hatte so einen Verdachte, dass sie ihre Aussage noch revidieren müsste.

Uns wurde geheißen, die Ladefläche zu verlassen und alles außer der Badebekleidung zurückzulassen. Der junge Fahrer führte uns kommentarlos auf einem Pfad flussaufwärts. Nach wenigen Minuten erreichten wir einen traumhaften Wasserfall, der von der Steilwand zur Rechten über zahlreiche Kaskaden und verschiedene Wege gemütlich in den Fluss plätscherte.

Eine Höhle! Ach wie schön

Auch schön, dachte ich, wenn ich auch andere Bilder mit Semuc Champey verband. Schwach erinnerte ich mich daran, dass unser Guide im achtstündigen Verkaufsgespräch (die Anfahrt am Vortag hatte er ausführlich genutzt) auch von Höhlen gesprochen hatte, die wir besichtigen würden, als jedem von uns eine Kerze in die Hand gedrückt wurde. Auf einer natürlichen Treppe stiegen den Wasserfall hinauf, welcher sich nach oben hin verjüngte, bis als Quelle der einzelnen Fälle ein schmaler Fluss gewahr wurde, der aus einer Höhle austrat.

Unsere Kerzen wurden erzündet und uns wurde gedeutet, dem Flusslauf zu folgen. Die handtellergroße Spinne, die wie zur Begrüßung am Eingang saß, sei hier nicht weiter erwähnt. Und so watete ich als erster, gemeinsam mit einem Engländer, im seichten Wasser hinein ins Dunkel. Tollkühn wie wir uns fanden, ließen wir unseren Augen gerade genug Zeit, sich an die veränderten Lichtverhältnisse zu gewöhnen. Ansonsten bewegten wir uns zielstrebig weiter in den Berg hinein, erst um die erste Biegung, dann um die nächste, bis nichts mehr vom Tageslicht hereindrang und im Schein der Kerzen das Ende der Höhle auszumachen war.

Der Rest der Gruppe folgte langsam nach und als letzter kam der Führer, ein junger Indio mit Irokesenschnitt. Er schritt so wortlos wie zielstrebig an uns vorbei und auf einen Spalt zu, den wir im matten Licht nicht hatten erkennen können. Es ging also noch weiter! Begeistert folgten wir ihm. Das Wasser reichte nicht über die Waden, der Boden bestand aus feinem Kieselsand, die Decke war meist hoch genug, um gefahrlos laufen zu können.

Beeindruckende Stalaktiten reichten von oben herab. An manchen Stellen verloren sie sich im Dunkel, so hoch war die Höhle. Der Irokese zückte an einer Stelle seine Taschenlampe und leuchtete nach oben: Die Decke war übersät mit Fledermäusen. Er pfiff ein paarmal um sie aufzuscheuchen, und ein paar flogen uns um die Ohren. Wir lachten begeistert.

Semuc-Champey-Hoehle_Start
Eine Höhlentour! Das wird bestimmt lustig!
Semuc-Champey-Hoehle_1
Wie, da hinten geht es noch weiter? Da, wo sich der Kerzenschein in der Dunkelheit verliert?

Hinein in die Unterwelt

Als ich ein paar Meter weiter in die Höhle ging wurde das Wasser tiefer, der Raum schien insgesamt breiter zu werden, der Fluss kräftiger, wenn auch weiterhin strömungsarm. Die Führung schien zu Ende, wir waren vielleicht hundert Meter in den Berg hinein gelaufen, doch der Führer platschte an mir vorbei, kündigte auf Spenglisch an, nun müsse geschwommen werden, und verschwand im Dunkel.

Schwimmen? Mit einer Kerze in der Hand als einziger Lichtquelle?

Ich mag nicht viel Speck auf den Rippen haben, aber ich war nicht der einzige, der das Wasser kalt fand! Wenige Meter weiter verloren meine Füße tatsächlich den Kontakt zum Boden, und jeder für sich versuchte die beste Technik zu finden, die Kerze weit genug über Wasser zu halten, dass sie nicht ausging, und gleichzeitig vorwärts zu kommen.

Spätestens als die ersten beim Wassertreten auf Stalagtiten trafen erloschen die ersten Funzeln jedoch, und das Wiederanzünden erwies sich als schwierig, musste man doch jedes Mal zunächst den Docht mit einer anderen Kerze trocknen, ehe er wieder Feuer fang. Am Ende eines langen Korridors wurde der Fluss wieder flacher.

Es erhob sich eine hohe Wand vor uns, von der das Wasser tropfte. An sie war eine Leiter gelehnt. Der Indio stieg sie kommentarlos hinauf, die Kerze in den Mund nehmend, und wartete oben darauf, dass wir ihm folgten. So eine Leiter mag den wenigsten Probleme machen, wenn sie im Garten am Baum oder an der Hauswand lehnt, aber an der glitschigen Wand einer Tropfsteinhöhle ist das doch etwas anderes. Insbesondere wenn die Hände allmählich zittrig werden von der Kälte des Flusses, und eine Hand eine Kerze umklammert, deren spärliches Licht kaum ausreicht um auszuschließen, dass man beim Erklimmen der nächsten Stufen nicht mit dem Kopf gegen einen Stalaktiten rumst.

Einzelne Sprossen lehnten unmittelbar an der Wand, sodass man auf die Kraft seiner Zehenspitzen vertrauen musste. Oben angekommen tastete man sich zwischen ein paar Felsen hindurch bis zur nächsten steilen Wand, an der man dasselbe Spiel noch einmal rückwärts spielte.

Semuc-Champey-Hoehle_Klettern
An dieser Stelle sei vielleicht erwähnt, dass man ohne den Blitz der Kamera kaum bis zu den Zehenspitzen gesehen hat

Bis hierhin – und weiter?

Was soll ich sagen Leute – bis hierhin liebte ich diese Exkursion. Und im Nachhinein sowieso. Aber etwas passiert in deinem Kopf, wenn das Wachs deiner Kerze auf deine Hand tropft und du dich nichtmehr daran erinnern kannst, wie groß sie ursprünglich mal war, jedoch das Gefühl hast, dass sie viel zu schnell verschwindet. Hinzu kommen von der Kälte immer zittrigere Hände und der Gedanke, dass man jede Minute, die man sich in den Berg hineinbewegt, auch wieder zurücklaufen muss.

Auch kamen langsam Zweifel an der Seriösität unseres Indio-Freundes auf. Er hatte kein einziges Mal die Teilnehmerzahl unserer Gruppe kontrolliert, vermutlich wusste er nicht mal wieviele wir ursprünglich mal waren. Das Feld jedenfalls streckte sich immer wieder sehr, einzelne Abenteurer stürmten ungestüm vorweg, andere Kerzenschimmer fielen gelegentlich sehr weit zurück und schlossen nur sehr langsam wieder zur Gruppe auf. Dennoch siegte noch das Adrenalin über die Vernunft und ich beglückwünschte Guatemala zu geringeren Sicherheitsstandards als TÜV Rheinland, denn ein solches Höhlenabenteuer wäre in der Attahöhle im Sauerland wohl kaum vorstellbar.

Nach einer weiteren Schwimmstrecke durch die Dunkelheit standen wir letztlich vor einem tatsächlichen Wasserfall, vielleicht vier oder fünf Meter hoch, und bevor unsere Gesichter noch ratloser werden konnten, schwang sich unser Führer geschmeidig am Felsen hinauf, stellte eine Kerze ans obere Ende des Falls, und ergriff ein Seil, was bislang im Wasserfall verborgen gewesen war. Mit einem Satz war er wieder unten und bedeutete dem ersten, das Seil zu ergreifen, den Fuß gegen die Wand zu stellen, und sich gegen die Wassermassen nach oben zu ziehen.

Semuc-Champey-Hoehle_Wasserfall
Die Kerzen waren nass und es war stockdunkel. Dass links neben dem Wasserfall eine Leiter befestigt war, erkannte ich erst nach Analyse der Fotos.

Eiswasserklettern

Es war nicht wirklich schwer, aber die Gefahr, die dabei vorlag, war nicht zu unterschätzen. Wenn die täglich drei Reisegruppen in die Höhlen nehmen, so kam mir der Gedanke, und im Durchschnitt bestanden die wohl kaum aus einer so jungen, fitten Truppe wie der unseren, so war es nur schwer vorstellbar, dass noch niemals jemandem das glitschige Seil auf halber Höhe durch die Finger gerutscht war. Und was dann? Schließlich gab es keinen Notausstieg, man war bereits über einen halben Kilometer im Erdinneren. Verschiedene schwere Hürden waren bis zum Wiederausstieg zu nehmen. Wer sollte mit einem gebrochen Bein noch Leitern erklimmen können?

Der Führer sammelte von jedem, der den Wasserfall erklomm, die Kerze ein und löschte sie. Die Option, zurück zu bleiben, ließ nicht nur mein männlicher Stolz nicht zu (zu dem Zeitpunkt überwiegten ohnehin noch Ehrgeiz und Abenteuerlust), es war auch schlichtweg der beängstigendere Gedanke, völlig allein mit einem schrumpfenden Kerzenstummel in der Höhle zu warten, bis die Gruppe wiederkam. Keiner wusste, wie weit es nach dem Wasserfall noch gehen würde, denn unser Führer redete nicht viel.

Ich hab keine Ahnung, wie ich es geschafft habe, dort hinauf zu kommen. Nicht weil ich glaube, dass es eigentlich unmöglich war, sondern vielmehr weil ab der oberen Kante völlige Dunkelheit herrschte. Wer auch immer vor mir hinaufgegangen war, hatte die einzige Kerze, die oben auf uns wartete, mitgenommen um den weiteren Verlauf der Höhle zu erkunden. Und so versuchte ich, möglichst klein zusammengekauert und vornübergebeugt, mir nicht von der starken Strömung kurz vorm Abgrund die Füße unterm Körper wegziehen zu lassen und tastete mich langsam vor in ruhigere Gewässer.

Dort stand ich dann eine Weile im Dunkeln, bis ich von hinten vom nächsten Teilnehmer angerempelt wurde. Mit ihm gemeinsam tasteten wir uns weiter voran, entgegen eines hauchzarten Schimmerns in weiter Ferne am Ende des Korridors.

Die Wand am Ende des Tunnels

Es dauerte eine ganze Weile, bis der Guide schließlich als letzter hochkam, wir alle Kerzen getrocknet hatten und die Höhle wieder einigermaßen hell war. Um es kurz zu machen, das Spiel wiederholte sich weiter. Es wurde gewatet, es wurde geschwommen, es wurden sich Schürfwunden zugezogen und schließlich standen wir wieder vor einem Wasserfall und der Guide erklärte wir wären nun einen Kilometer in die Höhle vorgedrungen, man könne bis zu elf Kilometer tief hinein, an dieser Stelle sei es nun aber genug und nun werde gesprungen.

Gesprungen? Das erschein mir doch eine sehr gewagte These.

Doch er hangelte sich an der Seite des Wasserfalls zwischen ein paar Stalagmiten in die Höhe, bis auf vielleicht drei oder vier Metern, hielt sich an einem Seil fest, während seine Füße in einer winzige Einkerbung in der Wand steckten, und sprang in den nichtmal vier Quadratmeter großen Tümpel, mit dem Kopf nur knapp vorbei an einer scharfkantigen Wand vorbei.

Ich hatte nicht wirklich vor zu springen, zumal ich als dünnster Hering der Gruppe inzwischen an allen Gliedmaßen zitterte, aber als dann das erste Mädchen die Kletterpartie antrat hatte ich keine Wahl mehr, ich musste da hinauf, und nach mir tat es auch Clara. Es war kein Genuss, es war kein Spaß, es war nur der Gedanke, nun hat man sich schon einen Kilometer in den Berg hineingearbeitet und die einzige Belohnung, die sich einem bietet, ist dieser Sprung, also sei verdammt noch mal kein Hosenscheißer und bring es hinter dich.

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Kein Grund zur Panik – oder doch?

Es war an dieser Stelle, als ein rundlicher Frankokanadier kreidebleich wurde. Er wollte sich nichts anmerken lassen, aber verstecken konnte er seine Panik auch nicht mehr, und hinterher sagte er mir, es sei ihm in diesem Moment klar geworden, in was für einer Gefahr wir uns eigentlich befanden. Einer nach dem anderen kletterte an der Wand hinauf, barfuß, in Badekleidung, und sprang zum Teil nur wenige Zentimeter an einer Wand vorbei in ein dunkles Loch, darauf vertrauend, dass der Boden schon tief genug unter der Wasseroberfläche liegen würde, um sich nicht die Füße zu brechen.

Ich teilte seine Meinung, wenn ich mich auch besser im Griff hatte. Jede Kletterpartie für sich war nicht sonderlich hoch und nicht allzu schwer, und in einer deutschen Kletterhalle würde man sie vermutlich ungesichert wagen dürfen. Die Kletterhalle ist jedoch ein gut ausgeleuchteter Raum, am Boden liegt eine Weichbodenmatte und in der Regel ist ein deutscher Krankenwagen in zehn Minuten vor Ort. In diesem Fall waren die Wände glitschig und man benötigte schon unverletzt eine halbe Stunden für den Rückweg durch die Höhle, wenn man denn nach einer Verletzung noch dazu in der Lage war, und müsste dann mehrer Stunden warten, bis ein Arzt aus der nächsten Stadt vor Ort sein könnte.

Verständlich also, dass den ein oder andern in der Gruppe eine leichte Panik ergriff. So wollten wohl alle auf dem Rückweg nur noch so schnell wie möglich zurück ans Tageslicht. Am Seil den Wasserfall hinabzusteigen wurde dadurch jedoch auch nicht leichter. Unwillkürlich betrachtete ich meinen Kerzenstummel und hoffte, er würde noch lange genug reichen.

Einfach fallen lassen

Als ich schon wieder die Leiter ergreifen wollte, um die letzte Kletterpartie anzugehen, zeigte der Führer auf ein Loch im Boden, durch das das Wasser verschwand. Es maß vielleicht ein Meter im Durchmesser. Welche Überraschung hielt er denn nun schon wieder für uns parat?

Er deutete auf einen Felsen, an dem man sich augenscheinlich ganz gut festhalten konnte, hangelte sich daran in die Tiefe bis nur noch die Hand aus dem Wasser ragte, die den Felsen umklammerte, und lies los. Er war weg, einfach verschwunden, und er würde auch sicher nicht zurückkehren, soviel war klar. Das Wasser fiel ein gutes Stück nach unten, soviel hatte man erkennen können, als er losgelassen hatte. Was nun?

Einige Sekunden später leuchtete er mit seiner Taschenlampe nach oben und wir hatten keine besser Idee, als es ihm nachzutun. Einfach mal in ein dunkles Loch plumpsen und auf das beste hoffen. Das mache ich zu Haus ja genauso, wenn mal wieder der Aufzug defekt ist und ich stattdessen den Müllschacht nehme – NICHT!
Einer nach dem anderen verschwand im Loch, bis auch ich und der Frankokanadier mit weit geöffneten Augen und kreidebleichem Gesicht unten angespült wurden.

Nach einer endlos wirkenden Stunde in der Höhle spuckte uns das Erdinnere plötzlich wieder aus – an der selben Stelle, an der wir sie betreten hatten, jedoch von einer anderen Seite kommend – und eine unglaubliche Anspannung löste sich von uns allen. Lachen breitete sich auf den Gesichtern aus, Endorphine rauschten durch den Körper und man hätte am liebsten alle umarmt.

Was für ein Tag! dachte ich – doch er war noch lange nicht zu Ende.

Mal zwischendurch was zur Unterhaltung

Semuc-Champey-Brücke
Ein bisschen Spaß muss auch mal sein.

Es folgte zunächst ein spaßiger Programmteil. Mit einer zehn Meter langen Schaukel konnte man sich vom Ufer aus bis in die Mitte des Flusses schwingen und mehr oder minder elegant per Rückwärtssalto ins Wasser klatschen. Anschließend wanderten wir mit Traktorschläuchen einige Minuten flussaufwärts, bis wir uns am Fuße eines gewaltigen Wasserfalls in die Stromschnellen stürzten und dann gemütlich den Strom hinab trieben, bis wir zu der Brücke gelangten, die wir zu Beginn des Tages gesehen hatten.

Und was wollten wir wohl nun an dieser Brücke?

„Auf jeden Fall mach ich das jetzt!“, sagte Clara und sprang als eine der ersten. Sie hatte ja immerhin die unheiligen Höhlen überlebt, wie schwer sollte es schon sein von einer zehn Meter hohen Brücke zu springen? Der Sprung war in der Tat mehr Spaß als Gefahr, das Brückengitter aber zunächst zu erklimmen war da schon etwas schwieriger. Das eigentliche Highlight war aber, sich an einer erdigen Steilwand an Lianenpflanzen wie Tarzan im Getrüpp wieder nach oben zu hangeln.

Semuc-Champey-Schaukel_1
Wer will als erster?
Semuc-Champey-Schaukel_2
CLLLL-ARAAAA! Elegant und anmutig wie immer.
Semuc-Champey-Tubing
Bisschen Entspannung zwischendurch – das Wasser war aber leider wirklich frisch an diesem wolkenverhangenen Tag

Endlich planschen – doch der Schein trügt

Doch Augenblick mal. Wir waren doch in Semuc Champey – wollten wir nicht eigentlich in schönen, sandsteinfarbenen Pools in türkisblauem Wasser planschen gehen? Ich hatte das, wofür dieser Ort eigentlich bekannt war, noch nicht mal gesehen.

Jawohl, das stand als nächstes auf dem Plan. Mit einem Mal hatten wir zwei andere Führer, Vater und Sohn wie mir schien, und die geleiteten uns über die Brücke ein Stück flussaufwärts zu den Wasserfällen, zu deren Füßen wir uns noch kurz zuvor mit Traktorschläuchen ins Wasser gestürzt hatten.

Wir sahen uns die Wasserfälle etwas genauer an. Bei genauem Hinsehen kamen von ganz oben eigentlich die geringsten Wassermengen, der Großteil schoss aus halber Höhe aus den unterirdischen Kavernen. Der oberirdische und der unterirdische Fluss trafen an dieser Stelle wieder aufeinander. Endlich hatten wir es erreicht, das Naturwunder von Semuc Champey!

Oberhalb des Wasserfalls bot sich ein Bild, das sich mit keiner Postkarte der Welt einfangen lässt. Trotz des regnerischen Tages übertraf der Anblick jede Erwartung. Semuc Champey war traumhaft – und wir wollten jetzt darin baden.
Zielstrebig führte uns das Vater-Sohn-Gespann weiter hinauf und gewährte uns einige Minuten in einem der Pools zum Baden. Dann führten sie uns zu dem darunterliegenden, und zum nächsten, und so weiter. Es ging zielstrebig weiter abwärts, ein Pool nach dem anderen wurde durchgearbeitet und mich beschlich allmählich das Gefühl, dass die Seile, die die beiden dabei hatten, nichts Gutes bedeuteten.

Semuc-Champey-Pools
Endlich sind wir in den Pools! Das Naturwunder von Semuc Champey ist wirklich unglaublich schön. Doch die Entspannung währt nur kurz. Denn unter uns donnert der Fluss durch die Kavernen…

Es ist noch nicht vorbei

Schließlich standen wir am Abgrund – an der Stelle, an der sich das Wasser aus den Kaskadenpool mit dem Wasser aus den Katakomben in einem Wasserfall wieder vereinte – und offenbar wollten die beiden noch weiter. Vorsichtig arbeiteten wir uns so weit vor wie es uns möglich war, bis wir schräg oberhalb des großen Höhlenausgangs angelangt waren, von wo aus wir die Wassermassen aus, wie mir schien, beeindruckender und vernünftiger Entfernung bestaunen konnten.

Der Vater begann nun aber, Knoten in eines der Seile zu machen, stülpte dann die Schlaufe an einem Ende über einen nicht mehr als daumengroßen Stumpf im Boden, bekreuzigte sich, und seilte sich ab. Für uns war nicht wirklich einsichtig, wohin er verschwand, aber der Stumpf, an dem das Seil befestigt war, wirkte in etwa so vertrauenserweckend wie die kümmerlichen Stummel, die nach der Maisernte im Feld stehen blieben.

Er kletterte offenbar einige Meter tiefer, sodass man – wenn man sich mutig nach vorne beugte – seinen Kopf noch sehen konnte. Und seine winkende Hand, die uns bedeutete, ihm zu folgen. Wie jetz? Hinterher?

Jetzt reicht’s! oder doch nicht?

An dieser Stelle stiegen viele aus – und das völlig zu recht. Wiederum sollte man sich an einem Seil in einem Wasserfall hinabseilen, wiederum nur für vielleicht vier oder fünf Meter, der Unterschied bestand jedoch darin, dass es von dem kleinen Vorsprung, auf dem unser Führerpapa uns zuwinkte, weitere zehn Meter in die Tiefe ging, und das auf zwei Seiten. Auf der einen Seite (geradeaus hinter dem Führer) schoss der unteridische Fluss hinaus ans Licht. Dort hineinzufallen wäre sehr wahrscheinlich tödlich gewesen, denn unterhalb des Wasserfalls ragten zahlreiche Felsen aus dem Wasser. Die andere Seite war gar nicht einsehbar, denn sie befand sich direkt unterhalb der Stelle, auf der wir gerade standen.

Trotzdem kletterte ich hinunter – frag mich nicht wieso – und auch Clara ließ sich nicht lumpen. Ich glaube, wir wollten hinterher einfach nicht das Gefühl haben, die investierten fünfundzwang Euro nicht vollständig genutzt zu haben. Außerdem habe ich eine Auslandskrankenversicherung abgeschlossen und hätte es ingeheim eine Verschwendung gefunden, wenn sie am Ende ungenutzt bliebe. Ich bin kein verschwenderischer Mensch.

Semuc-Champey-Kaskaden
Sieht doch eigentlich ganz harmlos aus?
Semuc-Champey-Kaskade-oben
Alles eine Frage der Perspektive. Und da sollen wir jetzt runter klettern? An einem glitschigen Seil, das nur durch den „Stamm“ einer Maispflanze gesichert ist?

Abseilen ohne Sicherung

So hangelten wir uns einer nach dem andern mit zittrigen Händen nach unten, immer schön die Füße gegen die Wand gestemmt, bis die Wand plötzlich weg war. Unter mir war ein zehn Meter tiefes Loch und man musste die Hand des Führervaters ergreifen, während der Führersohn sich oben auf den Stummel gehockt hatte, damit sich das Seil nicht löste, und zu ihm hinüberschwingen auf einen anderen Felsen.

Auf diesem Felsen saßen wir nun wie Gollum in der Höhle und kletterten, oder vielmehr krochen wir vorsichtig, durch einen dünnen Wasserfall auf dem Kamm des Felsens hinein in die Kaverne. Wir drangen nur vielleicht zehn Meter tief ein, kletterten dann nochmals eine gefährlich steile Wand hinab, und als ich schon fragen wollte, wohin es jetzt weiter ginge, erklärte der Guide, dies sei der Ausgang der Kaverne. Wie jetzt? Das war alles?

Na herzlichen Dank auch, da haben wir wieder was gelernt. Aber den Ausgang hatte ich auch schon auf diversen Postkarten gesehen, dafür musste ich nicht mein Leben riskieren. Und wie sollten wir jetzt wieder nach oben klettern? Vorsichtig krochen wir auf dem Felskamm zurück ins Freie, zur Rechten jetzt die großen Wassermassen aus der Kaverne, zur linken ein Abrund.

Man hätte sich gefährlich weit über den Abgrund lehnen müssen, um das Seil wieder zu ergreifen, welches am gegenüberliegenden Felsen hing. Ein Blick in die anderen Gesichter ließ wenig Begeisterung erkennen. Ich war nicht mehr der einzige, der vor Kälte zitterte und keiner von uns schien ein Meister im Freiklettern zu sein. Ratlosigkeit wäre wohl eine Beschönigung unserer Gefühlslage gewesen. Ich denke jeder von uns versuchte so zu tun, als wäre er nicht am Rande zur Panik. Der Führer war keine Hilfe. Er sah nur ratlos von einem zum anderen.

Ein beherzter Sprung ins Ungewisse

„Kann man denn nicht springen?“, fragte schließlich einer. Nicht in den großen Wasserfall, sondern in Richtung des kleinen, unterhalb des Felsvorsprungs auf dem die Zurückgebliebenen auf uns warteten. Die Höhe dürften etwas weniger als zehn Meter betragen haben, und darunter befand sich ein weiter Pool ohne erkennbare Stromschnellen und Felsen.

Das ginge schon, zuckte der Führer mit den Achseln, man müsse jedoch genau aufpassen wohin man springe. Er deutete wage in eine Richtung, in der vermutlich – hoffentlich – keine Steine unter dem Wasser unsere Beine zermalmen würden. Und anschließend, machte er uns pantomimisch klar, müsse man all seine Kraft aufbringen um möglichst schnell zu einem Felsen am Rande des Flusses zu schwimmen. Denn wenn einen die Strömung erstmal erfasst habe, würde es einige Meter weiter abwärts richtig ungemütlich zwischen den Felsen.

Wir sah uns ratlos an. Denn durch die Stromschnellen flussabwärts zu treiben schien keinem von uns eine bessere Variante. War der Sprung wirklcih sicher? Und würden wir es alle schnell genug ans Ufer schaffen, bevor uns die Strömung erfasste? Der Führer schien nicht sehr überzeugt. Aber was blieb uns anderes übrig?

Und einer nach dem anderen sprangen wir, kämpften uns gegen die Strömung zur gegenüberliegenden Wand, und in einer letzten großen Kraftanstrengung erklommen wir danach wieder das obere Ende des Wasserfalls, um den Zurückgebliebenen in die Arme zu fallen.

Das Siegerfoto auf der Ladefläche des Pick-ups zeigt kaum die Strapazen, die wir in diesem Tag auf uns genommen haben, doch vielleicht die Erlösung, die war danach verspürten. Wir haben sie überlebt – die unheiligen Höhlen von Semuc Champey.

Semuc-Champey-Pickup
Voller Endorphine steigen wir wieder auf die Ladefläche des Pick-up Trucks. Wir haben überlebt!

Nachtrag

Als wir uns tags darauf vom Besitzer unsere Hostels in die nächste Stadt fahren ließen, um einen Bus zur Weiterfahrt zu erreichen, ließ er sich über die Sicherheitsstandards dieser Höhle aus. Menschen seien durchaus schon verunglückt in diesen Höhlen, insbesondere wenn nur kleine Gruppen kämen, für die kein Führer zur Verfügung stünde. Die würden dann lediglich mit Kerzen versorgt und alleine losgeschickt.

Es kam wohl schon vor, dass Gruppen nicht mehr zurückkamen. Das Geschäft ist für den einheimischen Indiostamm aber ein so einträgliches, dass solche Fälle lieber verschwiegen werden. Ich möchte sie an dieser Stelle lieber nicht verschweigen. Denn jeder sollte wissen, worauf man sich einlässt, wenn man sie erkunden möchte – die unheiligen Höhlen von Semuc Champey.

Guatemala-Semuc-Champey-Aussicht-Pin
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Das Wichtigste in Kürze

Ich kann diese Höhlentour wirklich nicht guten Gewissens weiterempfehlen, denn sie ist wirklich riskant. Wenn du dir aber über das Risiko im Klaren bist (ich hoffe, ich konnte dir einen guten Einblick verschaffen), wirst du hinterher von einem einmaligen Abenteuer zu berichten wissen. Ansonsten gibt es um Semuc Champey auch schöne Wanderungen und die Pools laden zum Baden ein. Die Entscheidung liegt bei dir!

Gutemala ist ein traumhaft schönes Land. Mit den Vulkanen, dem Dschungel, den Mayaruinen und der Karibik bietet es alles, was das Backpackerherz begehrt. Aber es ist auch politisch und sozial immer wieder unsicher. Das sollte einen zwar nicht davon abhalten, es zu besuchen – doch es schadet nicht, wenn man sich touristischen Shuttleservices und Touren anschließt. Diese werden praktisch von allen Hostels beworben und bringen dich sicher, zügig (ich will nicht sagen schnell, denn das stimmt nun auch wieder nicht) und vergleichsweise günstig überall hin im Land.

So wirst du auch kein Problem haben, von überall nach Semuc Champey zu gelangen. Von Antigua aus dauert es ca. 6-8h und eignet sich als Zwischenstopp auf dem Weg nach Tikal.

Gutemala erreichst du am besten mit Flügen über Panama City oder die USA. Ein Besuch lohnt sich!

Semuc Champey – Höhlenabenteuer in Guatemala

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