Es gibt noch Restbestände!
Es zeigt eindrucksvoll auf, was den Menschen wirklich wichtig ist. In den seltensten Fällen sind dies die pressebestimmenden Schlagzeilen (außer genialerweise am 13. Juli, als Oliver beschreibt, wie er das WM-Finale im Maracana-Stadion in Rio erlebt), sondern sehr persönliche Erlebnisse. Kathrin beschreibt einen Tag aus ihrem Beruf als Tantra-Masseurin (1. April). Der Behindertenbetreuer Roman erzählt augenzwinkernd, wie einer seiner Schützlinge die Besenkammer mit der Toilette verwechselt (12. Juni). Julia beschreibt ihr Erlebnis auf dem Burning Man Festival in Nevada (27. August). Silke erzählt von der Eröffnung ihrer Kunstausstellung in Berlin (23. Oktober).
Es ist ein wunderbares Buch, das man sich immer in greifbarer Nähe zum Sofa aufgewahren sollte, um für ein paar Minuten dem eigenen Alltag zu entfliehen und in das Leben eines anderen einzutauchen.
„Du hast in den letzten 12 Monaten ca. 10.000 Nachrichten konsumiert. Kannst Du eine Nachricht nennen, dank derer Du eine bessere Entscheidung treffen konntest, die Dein Leben ernsthaft beeinflusst hat? Der Punkt ist: Der Konsum von Nachrichten ist irrelavant für Dich.
Deshalb beschreiben 365 Menschen einen Tag aus dem Jahr 2014 aus ihrer Perspektive. 365 Doppelseiten hat das Buch, links stehen die Schlagzeilen aus der Tagespresse, rechts die Geschichte über das Wichtigste des Tages aus der Sicht eines Einzelnen.“
Ich schrieb über den 29. November. Wenn dir mein Einblick gefällt, kann ich dir dieses Buch sehr empfehlen! (Und mein eigenes natürlich auch. Mehr Infos zu meinem Roman „Weg Wollen“ findest du hier.)
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Leseprobe
Samstag, 29. November 2016
Ein Pulli? Sie schenkt mir einen Pulli? Sie lächelt mich dreist an.
„Danke schön.“ sage ich verlegen. „Ich, äh…“ Verdammt. Ich dachte, mit meiner Idee hätte ich gewonnen. Kostet nichts, hält ewig. Sie schaut mich erwartungsfroh an.
„Ich, äh… schenke dir dieses Buch.“
„Welches Buch?“
„Oh, ich hab es noch nicht, es entsteht gewissermaßen in diesem Augenblick, zumindest deine Seite..“
„Du schenkst mir eine Seite eines Buches?“
Nachdem ich ihr das Adobt-a-Day Projekt erklärt habe, küsst sie mich. „Süß“ findet sie die Idee. Eine Seite zum Jahrestag. Juhuu!
Es ist unser erstes Wochenende in der gemeinsamen Wohnung. Erst Tage zuvor war sie zu mir gezogen, kurz vor unserem einjährigen Jahrestag. Der ist heute. Und es ist der erste Tag, an dem man von der Tür zum Tisch kommt, ohne dass man in Slalom-Hürden-Kombination Möbel und Müll überwinden muss. Die Pappkartons haben wir auf dem Balkon zwischengelagert, weil der Müllcontainer im Hof auseinanderbricht. Die neuen Möbel stehen endlich alle am rechten Fleck: Das Sofa, der Tisch, die Fernsehkonsole.
Wir lassen uns Zeit beim Frühstück, fahren alles auf, was der Kühlschrank zu bieten hat. Zwischen unseren neuen Vorhängen hindurch lassen wir den Samstag Vormittag vor dem Fenster passieren. Wir hören leise Radio und verputzen unsere Semmeln. Sie wirkt zufrieden. Entspannt. Glücklich. Das ist mir das Wichtigste heute. So bin ich es auch.
Gegen Mittag mümmeln wir uns ein und schwingen uns auf die Räder. Wir machen ein Tour, hinaus aus München, entlang der Isar und durch den Wald. Alle großen Pläne für den Tag haben wir letztlich wieder verworfen. Hauptsache, wir verbringen den Tag gemeinsam. Keine Anrufe heute. Keine weiteren Verabredungen. Stattdessen fahren wir auf den Rädern durch den nebligen November. Weil am Umzugstag im Möbelladen nicht alles vorrätig war. Wir fahren gemütlich, genießen die Kälte, den Wald, das Feld.
Von den Menschenmassen im Möbelladen lassen wir uns die Laune nicht verderben. Im Gegenteil, wir machen ein Spiel draus, beginnen an den Kassen und wälzen uns gegen den Strom. Der Begrüßungsglühwein entspannt unsere Glieder.
Später, beim Abendbrot in einer bayrischen Stube, mit Schnitzel und Bier und der freiwilligen Feuerwehr, denke ich zurück. Ein Jahr sind wir nun schon zusammen. Wie schnell die Zeit vergeht. Ich war notorischer Single gewesen, achtundzwanzig Jahre lang. Zu Beginn war ich überfordert, wenn wir uns dreimal pro Woche trafen. Und jetzt wohnen wir zusammen. Und ich find’s toll!
Als ich auf dem Heimweg in völliger Dunkelheit mit dem Rad in ein Blumenbeet rausche, lacht sie mich aus. Die einzig angemessene Reaktion! Ich kann gar nicht anders, als mit zu lachen. Naja, zumindest muss ich schmunzeln. Innerlich. Und ich denke an das, was meine beste Studienfreundin zu mir gesagt hatte, als sie sich kürzlich kennen lernten: „Die ist klasse,“ hatte sie gesagt. „Die kannst du behalten.“
„Ich weiß,“ hatte ich geantwortet. „Und das habe ich vor.“
Götz Nitsche
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