Grönland-Kangerlussuaq-Titel

Im August 2017 unternahm ich mit meiner Freundin eine Reise nach Grönland. Wir schlossen uns einer Expedition aufs Inlandeis an, folgten einem 160km langen Wanderweg durch die Wildnis und ließen uns von Walen auf einer Fährfahrt zum Ilulissat Eisfjord begleiten.

Kangerlussuaq ist im Grunde genommen ein riesiges Flugfeld in der grönländischen Einöde. Es ist aber auch zwangsweise der erste Ort, den man in Grönland betritt. Komm mit uns auf einen Spaziergang durch Kangerlussuaq – mit vielen wertvollen Infos!

Hier findest du übrigens alle Artikel über unsere Reise durch Grönland!

Ein Berliner in Grönland

Man rechnet ja mit allem, wenn man eine Reise nach Grönland plant. Eisige Temperaturen, keine Möglichkeiten, an Bargeld zu kommen und Verständigungsprobleme auf der Suche nach einem Schlafplatz. Womit man nicht rechnet, sind 18 Stunden Sonnenschein bei angenehmen 23 Grad, ein Geldautomat am Terminal (obwohl der Reiseführer behauptet, in Kangerlussuaq gäbe es keinen) und einen freundlichen Berliner Rentner, der den örtlichen Zeltplatz führt. Daher fragen wir den älteren Herrn auf Englisch, ob wir auf der Wiese campen dürfen.

„Yes“, sagt der Herr und deutet auf das Buch, das meine Freundin unterm Arm trägt. „And you read a Dschörmen book.“
„Ja“, antworten wir unisono. An seinem Akzent und seiner Andeutung haben wir gleich begriffen, dass er offenbar selbst Deutscher ist.
„Ser’fore you speak Dschörmen?“, fragt er weiter.
„Ja“, antworten wir, erneut auf Deutsch.
„Sen maybe we can continue sis conversation in Dschörmen?“
„Gerne“, antworten wir.

Auf einen Tee in Kangerlussuaq

Grönland-Kangerlussuaq-Zeltplatz
Wer braucht eine Dusche, wenn man eine Picknickbank hat? Der Zeltplatz direkt neben der Start- und Landebahn in Kangerlussuaq

Frieder lädt uns sogleich auf eine Tasse Tee in seinem Holzverschlag ein und erzählt uns von seiner Erfahrung. Früher wurde der Campingplatz von der Gemeinde geführt, doch die haben ihn 2013 dicht gemacht. Frieder selbst ist ihn schon mehrfach gegangen. Inzwischen verbringt er als Leiter des Vereins zum Erhalt des Arctic Circle Trails seine Rentensommer in Grönland und führt den Campingplatz. Die geringen Einnahmen (60 DKR/ 8 Euro pro Person und Nacht) fließen in den Erhalt des Trails.

„Die wollen aus dem Trail einen ATV-Trek machen. Kann man sich das vorstellen? Auf der einen Seite sagen sie, man soll die Natur respektieren und auf der anderen Seite wollen sie den Pfad planieren und für diese lärmenden Quads herrichten. Wenn das passiert, sind die Wanderer weg, hab ich denen gesagt. Oder würdet ihr neben einer Autobahn wandern?“
Frieder ist ein prima Kerl. Sympathisch, gemütlich, und optisch erinnert er ein wenig an den Weihnachtsmann. Er hat eine Menge spannende Geschichten auf Lager.

„Die Leute von der Unesco-Welterbe-Komission kommen ja bald wieder nach Grönland. Wegen dem Eisfjord bei Ilulissat. Mit denen würde ich ja gerne mal reden. Wisst ihr, warum das Kolosseum im Rom so aussieht, wie es aussieht? Weil die Römer, als sie mal Steine zum Bauen brauchten, einfach die von dem leerstehenden Kolosseum genommen haben. Und genau dasselbe haben die Grönländer mit alten Wikinger-Häusern gemacht.“
Wirklich spannende Geschichten. Wir sind uns allerdings unsicher, was das ganze mit der Unesco zu tun hat. Also verabschieden wir uns auf später und streifen erstmal durch den Ort.

Der größte Flughafen im Nirgendwo

Grönland-Kangerlussuaq-Flughafen
Kleine Maschinen bringen die Grönlander zu ihren Siedlungen quer über die Insel. Man beachte, dass der kürzeste Weg nach Tokio über den Nordpol führt.

Viel zu sehen gibt es hier eigentlich nicht. Weil es aber so anders ist als alles, was man bisher gesehen hat, ist es dennoch eine Erkundung wert. Als Dänemark im zweiten Weltkrieg von den Deutschen besetzt war, hatte Grönland einen Versorgungsengpass. Die USA sprangen ein und durften im Gegenzug Grönland zur Zwischenlandung ihrer Flugzeuge nutzen. So entstand das heutige Kangerlussuaq. Deshalb ist dieser Ort, der nur etwa 600 Einwohner zählt, zum größten Flughafen der Insel geworden: Weil die Landebahn lang genug für große Maschinen ist. Die meisten internationalen Flüge landen hier und mit kleinen Propellermaschinen reisen die Leute weiter zu ihren Siedlungen.

Die Siedlung um das Flugfeld ist überschaubar. Der Campingplatz liegt etwas zur linken des Flughafenausgangs, direkt neben dem Flugfeld. Es gibt einen Wasserhahn, der auch gleichzeitig Dusche ist, aber immerhin eine Toilette neben Frieders Bungalow. Direkt am Flughafen gibt es ein „Ishuset“, ein Eishäuschen, wo man allerlei zu knabbern kaufen kann. Gegenüber ist der große Supermarkt „Pilersuisoq“, der staatliche Supermarkt Grönlands, wie früher in der DDR. Im Gegensatz gibt zur DDR gibt es hier aber auch Bananen und überhaupt alles, was das Herz begehrt. Sogar Schokocroissants. Klar, die Preise sind doppelt so hoch wie in Deutschland, aber Wanderer, die noch Verpflegung brauchen, werden hier sicher fündig.

Grönland, ein Traum für Klimaforscher

Entlang der einzigen asphaltierten Straße stehen außerdem ein paar Hotels, Tourenanbieter die auch gleichzeitig grönländische Textilien verkaufen und Wohnbaracken. Überhaupt ist alles im Barackenstil gehalten, ob nun aus Wellblech oder Holz. Südlich des Flugfeldes gibt es ein paar weitere Häuser, die ungefähr dasselbe beinhalten, sogar einen zweiten Supermarkt. Und das war’s. Wer in Kangerlussuaq wohnt, arbeitet entweder am Flughafen, im Tourismus oder ist Forscher. Für die ist Grönland ein Traum, denn kaum eine Landschaft verändert sich durch den Klimawandel so schnell wie das Randgebiet des Inlandeises.

Ein Wissenschaftler hatte etwa in den 60er-Jahren versucht, verschiedene Baumarten um Kangerlussuaq zu pflanzen. Nur mal so, um zu sehen, wie sie gedeihen. Die Antwort: Schlecht. Die Bäume sind nach gut 50 Jahren noch immer kaum mannshoch, aber immerhin, sie leben noch. Vielleicht wäre es aber auch mal wieder an der Zeit für einen neuen Versuch, denn damals lag der Permafrost grade mal einen Meter unter der Erde. Heute, dem Klimawandel sei dank, beginnt er erst in drei Metern Tiefe.

Grönland-Kangerlussuaq-Übersicht
Blick von Nord nach Süd A) Supermarkt B) Post C) Flughafengebäude (Geldautomat) D) Ishuset E) Polar Lodge Hotel F) Zeltplatz G) Watson River H) Søndre Strømfjord I) zur südlichen Siedlung (Hostel) und Inlandeis J) zum Arctic Circle Trail K) fesches Madl

Bridge over troubled Water

Oberhalb von Kangerlussuaq vereinigen sich zwei Flüsse, die von verschiedenen Bereichen des Inlandeises kommen, zu einem gewaltigen Strom. Wieviel Wasser der Fluss tatsächlich führt, wird uns erst klar, als wir die Brücke erreichen. Eine Million Liter Schmelzwasser fließen hier sekündlich zwischen den Pfeilern in den Fjord. Eine Million! Zum Vergleich: Über die Niagarafälle donnern im Normalfall 1,4 Millionen Liter pro Sekunde. Mit einer Million Liter kann man ein Olympisches Schwimmbecken in 2,5 Sekunden füllen. Das ist ne Menge Schmelzwasser. Und durchaus mehr als normal, denn in der Regel, lassen wir uns sagen, fließt nur die Hälfte durch. Doch dieser Sommer ist ungewöhnlich trocken und warm.

Für eine Weile betrachten wir das hypnotische Gurgeln des Flusses. Das ist schon ein wenig größer als die Isar bei München. Ich würde hier jedenfalls nicht mit dem Schlauchboot runter. Scheinbar hat’s mal einer versucht. Ein guter Kanut, wenn ich das richtig verstanden habe. Ein Spitzensportler. Genutzt hat’s ihm nichts, er ist bei dem Versuch draufgegangen.

Wirklich spannende Geschichten

Zurück im Camp teste ich gleich mal das luxuriöse stille Örtchen neben Frieders Bungalow. Ganz so still ist es gar nicht, denn ich vernehme Wortfetzen aus seinem Gespräch mit ein paar Wanderern, die soeben ankommen.

„Die wollen aus dem Arctic Circle Trail einen ATV-Trek machen“, höre ich eine vertraute Stimme durch die Holzwände. „Würdet ihr neben einer Autobahn wandern?“ Die Wanderer antworten mit empörtem Gemurmel.
Da alle in denselben Eimer machen und mir vor Lachen die Luft ausgeht, eile ich hinaus zum Händewaschen.
„Wisst ihr, warum das Colosseum so aussieht, wie es aussieht?“, höre ich Frieder fragen.
Vielleicht hat er doch nicht so viele Geschichten auf Lager, wie ich zu Beginn dachte. Trotzdem, ein prima Kerl.

Am nächsten Morgen gehen wir nach nebenan zur Polar Lodge, um uns Fahrräder auszuleihen. Die Polar Lodge ist eines von mehreren Hotels und einer von mehreren Tourenvermittlern. Sie nutzen allerdings geschickt eine gewissen Mangel an Professionalität des Grönländischen Tourtenunternehmen und positionieren sich nach jeder Ankunft eines internationalen Fluges so am Flughafen, als wären sie die offizielle Touristeninformation. Ich frage mich, ob den anderen Anbietern nicht auffallen müsste, dass da ein seltsames Ungleichgewicht in den Buchungen herrst. Egal, unserer Guidebook hat gesagt, man könne mit geliehenen Fahrrädern zum Inlandeis fahren, also wollen wir das gerne tun.

Grönland-Kangerlussuaq-Panorama
Wer genau hinsieht, erkennt am gaaanz rechten Rand ein Frachtschiff im Hafen. Es bringt neue Dr. Oetker’s Pizzaburger – und Bananen.

Touren um Kangerlussuaq

Die nette Inuit-Dame an der Rezeption ist ziemlich verdutzt. Auf die Idee kam wohl bisher noch niemand. Die Straße, sagt sie, ist eher eine Sandpiste, allerhöchstens mal ein Schotterweg, und die Leihfahrräder alles andere als dafür geeignet. Bis zum ersten Ausläufer des Eises sind es 25 km, bis zum interessanten Teil sogar 35. Und dann muss man ja noch zurück. Sie rät ab. Zerknirscht überlegen wir, was wir sonst unternehmen könnten.

Es gibt zahlreiche weitere Ausflüge, denen man sich anschließen kann, darunter – natürlich – auch ATV-Touren in die Umgebung, Wildlife-Spotting (wobei hier vor allem der Moschusochse zieht, da aber heute die Jagdsaison beginnt, dürfte der Bestand in der unmittelbaren Umgebung bereits ausgedünnt sein) und mehrere Touren zum Inlandeis. Der wahre Zauber der Region scheint sich erst in den Wintermonaten so richtig bemerkbar zu machen, denn die meisten Fotos werben mit Schlittenhundetouren und Polarlichtern. Doch dafür ist es zur Zeit eindeutig zu warm.

Die einzige Tour, die für uns in Frage kommt, ist eine zweitägige Expedition aufs Inlandeis. Inklusive Zeltlager auf der Eiskappe. An sich keine Frage, das wollen wir machen! Doch der Preis von 315 Euro schreckt uns ab. Ein älteres deutsches Ehepaar, das sich in dem kleinen Shop bei der Rezeption gerade ein paar Robbenfellhausschuhe ansieht, bekommt unser Dilemma mit.

„Gehen Sie mit“, sagt der ältere Herr und lächelt mild. „Sehen Sie uns an. Wir haben unser ganzes Leben gebraucht, um endlich mal nach Grönland zu fahren. Sie sind jetzt schon hier. Doch wer weiß, ob Sie nochmal wiederkommen.“

Ab auf’s Inlandeis!

Meine Freundin und ich wechseln einen vielsagenden Blick. Denn natürlich hat er Recht. Die einzige in ihrer Größe vergleichbare Eisfläche auf diesem Planeten ist die der Antarktis, und wegen ein paar Pinguinen reise ich nicht um die ganze Welt. Wenn wir also schonmal hier sind, schließen wir uns eben dieser Tour an. Denn ich will unbedingt herausfinden, woher all dieses Schmelzwasser stammt, das an Kangerlussuaq vorbeidonnert. Ob wir auf dem Inlandeis Spuren des Klimawandels finden? Wir werden es herausfinden. Denn wir sind dabei!

Es bleibt grade noch genug Zeit, um sich von Frieder zu verabschieden. Als wir an seinen Verschlag klopfen, erkärt er grade einem armen Camper, dass die Gemeinde aus dem Arctic Circle Trail einen ATV-Trek machen will.
„Wir würden gerne bezahlen“, sage ich.
„Yes“, antwortet Frieder. „Do you speak Dschörmen?“
Wirklich ein prima Kerl.

Reisen in Grönland – Ein Spaziergang durch Kangerlussuaq

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