Grönland-Eisfjord-Porträt


In der Diskobucht, an der Westküste Grönlands, versteckt sich ein weltweit einmaliges Naturphänomen. Hier trifft das ewige Inlandeis auf das Meer, genauer gesagt auf den Fjord südlich der Stadt Ilulissat. Riesige Eisberge brechen vom Gletscher ab und treiben langsam hinaus in die Baffin Bay. Der Fjord zählt zum Unesco Weltnaturerbe – und das gigantische Schauspiel war uns im Anschluss an unsere Wanderung über den Arctic Circle Trail einen Abstecher wert.

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Aufbruch aus Sisimiut

Grönland-Arctic-Umiaq-Line-Fähre
Die Arctic Umiaq Line verkehrt wöchentlich entlang der Westküste Grönlands. Sie ist größer und komfortabler, als wir dachten.
Grönland-Arctic-Umiq-Line-Bett
Auch die Betten lassen nichts zu wünschen übrig.

„Hi, ich bin Phil!“, sagt der junge Skipper und grinst uns fröhlich an. „Willkommen an Bord der Arctic Umiaq Line. Ich bin euer Entertainer. Wenn ihr etwas braucht, wendet euch einfach an mich.“
„Danke“, sagen meine Freundin und ich unisono.

Wir sind es nicht gewohnt, derart hofiert zu werden. Grade erst haben wir neun Tage in der Wildnis verbracht, nun hatten wir einen rostigen alten Kahn erwartet, der uns über Nacht weitere 300 km Richtung Nordpol bringt. Stattdessen jetzt diese Nobeljacht mit Restaurant, Duschen und bequemen Betten. Was waren wir erstaunt, als wir eben unsere Rucksäcke unter Deck verstauten.

„Halt!“, ruft meine Freundin dann doch, als Phil schon fast wieder verschwunden ist. „Eine Sache fällt mir doch ein! Habt ihr vielleicht Ohrstöpsel an Bord?“
„Ohrstöpsel?“, fragt der Skipper.
„Genau!“, falle ich mit ein. „Ich fürchte, wir haben einen Schnarcher identifziert.“

So bequem die Betten in der Holzklasse auch aussahen, die Nachteile eines Schlafsaals bleiben bestehen. Egal ob in einer Berghütte in den Alpen, einem Hostel in Südamerika oder einer Fähre vor Grönland: Irgendwer schnarcht immer.

„Nur wenn ich zu viel trinke“, behauptete der füllige Mann, der das Bett neben uns bezog. Aber das Risiko wollen wir nicht eingehen.

Wale! Wo? Überall!

Während wir langsam aus Sisimiuts natürlichem Hafen auslaufen, das Kaellinghaetten-Massiv in der Abendsonne unseren Blicken entschwindet, genießen wir ein Siegerbier in Liegestuhl auf Deck. Gestern beendeten wir den Arctic Circle Trail, erreichten nach 160 Kilometern durch die Wildnis endlich Sisimiut. Und heute beginnt die Kür. Heute reihen wir uns unter die Genussurlauber.

Jérémie, der verrückte Franzose, der uns beim Wandern abends um 9 Uhr passierte und noch zwei Stunden laufen wollte, macht ein Foto von uns. Der andere verrückte Franzose, der, der sich von einem Kilo Mandeln ernährt hatte und mehr Blasen als Fußsohlen hatte, flog heute Mittag bereits zurück. Schade, der hätte uns auf der Fähre sicher weiterhin gut unterhalten.

„Ein Wal!“, ruft ein schwedisches Paar neben uns. Wir versauen ungefähr zehn Fotos, weil einer von uns ständig nach der Fluke sucht, während der Blick des armen Jérémie im Sucher der Kamera gefangen ist.

Grönland-Fähre-Sisimiut
Schon beim Auslaufen aus Sisimiut sehen wir die ersten Wale. Also wohin gucken? Kamera? Meer?

Wir genießen die Stille des Ozeans, lassen die raue Westküste Grönlands an uns vorüberziehen und beobachten die Sonne, die sich langsam dem Horizont annähert. Ein herrliches Gefühl. Als es schließlich zu frisch wird, gehen wir hinunter ins warme Bordrestaurant. Meine Freundin und ich spielen Schach, und Jérémie gibt ihr Tipps. Ich rege mich wahnsinnig auf, weil sie besser steht als ich – und er sie darauf hinweist.

„Schau lieber da raus, da ist ein Wal!“, will ich ihn veräppeln. Dummerweise schwimmt da wirklich grade ein Wal vorbei. Nicht nur einer, eine ganze Gruppe! Immer wieder begleiten uns die majestätischen Meeressäuger, und obwohl wir uns bald an den Anblick gewöhnen, bekommen wir doch niemals genug davon.

Der potenzielle Schnarcher, der angeblich ohne Alkohol keine Gefahr darstellt, sitzt am Tisch neben uns und leert grade die zweite Flasche Wein. Zum Glück bringt uns Phil tatsächlich noch Ohrstöpsel vorbei. Die Nachtruhe ist gerettet! Ich überlasse das Spielfeld meiner Freundin und dem Franzosen und schlummer unter Deck schonmal weg. Während der Weinschnarcher am Tisch einschläft, zeigt meine Freundin dem vorlauten Schachschwätzer, wie man ein Feld ordentlich bestellt. Sie zieht ihn zweimal ab, wie sie mir am nächsten Morgen verkündet, und Jérémie, eben noch als großzügiger Tippgeber, guckt blöd aus der Röhre. Gutes Mädchen.

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Aasiat und die Inzucht

Um 8 Uhr in der früh macht die Fähre Halt in Aasiat. Phil der Entertainer führt uns zur Kirche und zeigt uns ein Gemälde eines Mannes, der mit einer erloschenen Fackel einer Frau hinterherläuft. Er gibt eine Grönländische Fabel zum Besten, und die geht ungefähr so:

Weil es in Grönland nicht viele Menschen gibt und die meiste Zeit des Jahres nicht viel zu tun, amüsierten sich früher die Einheimischen, indem sie das „Mach-das-Licht-aus“-Spiel spielten. Alle jungen Menschen des Ortes trafen sich in einem Haus und ließen die Fackeln draußen. Im Dunkeln wurde sich ausgezogen und – nun ja – das „Mach-das-Licht-aus“-Spiel gespielt. Anders ausgedrückt: Jeder hatte mit jedem Spaß.

Eine junge Dame bemerkt eines Tages, dass wohl immer derselbe Mann zu ihr kam, und sie fragte sich, ob dieser Unbekannte wohl ein potenzieller Ehegatte wäre. Clever wie sie war, berußte sie ihre Hände vor Beginn des nächsten Spiel mit Asche. Tatsächlich, derselbe gute Küsser kam erneut zu ihr hinüber, und als das Licht wieder anging, ging ihr auch eines auf. Und kein gutes, wenn man das so sagen darf, denn der rußige Unbekannte war ihr eigener Bruder!

Vor Schreck stürmte sie aus dem Haus, nahm eine brennende Fackel und verschwand in der Wildnis. Ihr Bruder aber, dessen Zuneigung zu ihr offenbar größer war als die Angst vor behinderten Babies, rannte ihr hinterher. Die Fackel, die er sich in der Eile griff, war jedoch beinahe erloschen.

Und so rennen sie noch heute durch Grönlands Wildnis, über das Firmament, die junge Dame mit der hellen Fackel, und der törichte Bruder mit der fast erloschenen. Die ewige Sommersonne – und der ewige Mond.

Eine ebenso schöne wie befremdliche Geschichte, aber möglicherweise näher an der Realität, als man glauben mag. Ich will es mal so sagen: Bei der geringen Menge an Menschen, die hier oben leben, kann der Genpool nicht allzu groß sein. Viel mehr als die Geschichte amüsiert mich aber der Holzjesus am Kreuz. Der hat nämlich die Gesichtszüge eines Inuit. Ich lache so lange, bis mich meine Freundin darauf hinweist, dass die europäischen Gesichtszüge der Kruzifixe in bayrischen Stuben kaum realistischer sind. Da ist was dran. Jeder erschafft sich wohl den Erlöser, den er braucht.

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Eisberg Ahoi!

Aasiat bildet das Tor zur Diskobucht, die nicht etwa so heißt, weil die Nordlichter im Winter die größte Partyampel der Hemisphäre an den Himmel zaubern, sondern weil die vorgelagerte Insel rund ist. Schade, aber die Nächte sind eh noch viel zu hell für Nordlichter.

Grönland-Eisberg
Permanent treiben in der Diskobucht Eisberge an uns vorbei.

Kaum legen wir wieder ab, treiben auch schon die ersten großen Eisberge an uns vorüber. Der Morgennebel löst sich auf, die Sonne scheint und man könnte glatt im T-Shirt an Deck stehen. Wir beugen uns über die Reling mit offenen Mündern, blitzenden Objektiven, und staunen. Erst jetzt fällt mir auf, dass ich, obwohl die Welt mehrmals umrundet habe, noch nie einen Eisberg gesehen habe.

Klar, im Fernsehen und auf Fotos, aber das ist nicht desselbe. Eisberge haben etwas Poetisches, etwas Beruhigendes, in ihnen wohnt eine mystische Ruhe, die auf den Betrachter übergreift. Bis zum Mittag verlassen wir das Deck nicht mehr, genießen den Anblick, bewundern die gelegentlich auftauchenden Fluken der Wale, und sind ergriffen von der Erhabenheit der Natur.

Grönland-Eisberg-Wal
Zwischen den Eisbergen tauchen gelegentlich die Fluken von Grönlandwalen auf.
Grönland-Eisberg-Möwe
Meins!

Ilulissat

Unmittelbar vor unserem Ziel Ilulissat, der Endhaltestelle der Arctic Umiaq Line, passieren wir den Eingang zum Eisfjord. Riesige Eisberge stehen hier dicht gedrängt auf eine Breite von vier Kilometern und warten darauf, dass die Strömung sie mitnimmt. Hier kommen sie alle her, die Eisberge der Diskobucht und zum Großteil die der gesamten Baffin Bay. Ein Touristenboot kreuzt unser Blickfeld und macht die gewaltigen Dimensionen erst sichtbar.

Grönland-Eisberg-Fischkutter
Ein Fischerboot läuft aus Ilulissat aus und kreuzt unsere Sicht auf den Eisfjord.
Grönland-Ilulissat-Eisfjord-Boot
Erst durch ein kleines Touristenboot werden die Dimensionen der Eisberge deutlich.

Ilulissat selbst ist eine ungewöhnliche Stadt für Grönland. Das Stück Land, auf dem sie errichtet wurde, wirkt vergleichsweise grün und so sind die Häuser und Straßen in relativ geordneten Mustern angelegt – und stehen nicht etwa wie in Sisimiut wie Kraut und Rüben quer über dem felsigen Grund verteilt.

Es herrscht emsiges Treiben und Menschen aus aller Herren Länder – nunja, eigentlich nur aus westeuropäischen Ländern – genießen den sonnigen Spätsommertag. Ein großes Kreuzfahrtschiff liegt vor Anker, und dementsprechend touristisch ist die Stadt. Erst jetzt verstehe ich, dass Ilulissat tatsächlich die touristischste Stadt des ganzen Landes ist. Eigentlich die einzige tourstische Stadt in ganz Grönland.

Dafür gibt es gute Restaurants und ein hübches Café gleich oberhalb des Hafens. Wir setzen uns in die Sonne, essen einen Burger zu einem erstaunlich fairen Preis, und genießen die Tatsache, dass wir am Ziel unserer Reise angekommen sind. Jérémie wird uns bald verlassen und noch ein paar Tage endlang des Eisfjords wandern. Meine Freundin und ich habend lediglich vor, über die Hügelkrette zu spazieren und unser Zelt bei schöner Aussicht auf den Fjord aufschlagen. Und dann Füße hoch.

Grönland-Ilulissat-Schlittenhunde
Auf dem Weg zum Fjord muss man durch zahllose Rudel festgeketteter Schlittenhunde. Im Hintergrund ist die Diskoinsel zu sehen.
Grönland-Schlittenhunde-Kette
Die Tiere sind den ganzen Sommer über in derselben Formation angekettet, wie sie im Winter den Schlitten ziehen

Der Abend am Eisfjord

„Mücken gibt es in Ilulissat keine“, hatte uns die nette Dame im Museum von Sisimiut gesagt. „Wegen der Kälte des Eises“.
Aber kaum haben wir die endlosen Felder von angeketteten Schlittenhunden am Ortsrand hinter uns gelassen (ein weiterer Hinweis darauf, dass Ilulissat wesentlich touristischer ist als Sisimiut), attackieren uns fiese kleine Fliegen. Die sind viel schlimmer als Mücken, denn sie stehen auf Schleimhäute und suchen die Nähe von Nasenlöchern, Augen und Ohren. Sofort krame ich mein bewährtes Mückennetz aus dem Rucksack und versuche, möglichst wenig zu schwitzen.

Trotzdem verschlägt es mir den Atem, als wir die Hügelkette schließlich überwinden. Nicht wegen der Anstrengung – wegen der Aussicht. Bis zum Horizont stehen die Eisberge in einer Schlange, spiegeln sie sich im Wasser des Fjordes. Ein umwerfender Anblick. Begeistert schlagen wir unser Zelt am Wasser auf. Tatsächlich, den Fliegen scheint es in der Nähe des Eises nicht zu gefallen.

Grönland-Ilulissat-Eisfjord-Wandern
Die Wanderung entlang des Eisfjords ist für jeden einfach zu schaffen – entsprechend gut besucht ist sie tagsüber auch. Kein Wunder – bei der Aussicht!

„Das würde ich nicht machen“, mahnt uns ein einheimischer Spaziergänger.
Es leert sich allmählich, während sich der Tag dem Ende zuneigt, aber es ist doch spürbar mehr los als im Rest von Grönland. Aber warum sollten wir hier nicht campen? Wir hatten in der Touristeninformation extra gefragt, und uns wurde versichert, obwohl das Areal Unesco Weltnaturerbe ist, darf man für eine Nacht sein Zelt aufschlagen.

„Es ist wegen der Eisberge“, sagt der Fremde. „Wenn einer von den großen bricht, gibt’s hier eine 10m hohe Flutwelle.
Das ist ein Argument. Ich habe während der Wanderung entlang des Arctic Circle Trails in jedem Gewässer gebadet, aber in den Eisfjord hatte ich nur mal für ne Sekunden den Finger gehalten. Auf längeren Kontakt haben wir wenig Lust. Bereitwillig tragen wir unser Zelt den Hang hinauf.

Grönland-Ilullissat-Eisfjord-Zelt
Wir lassen uns überzeugen, das Zelt ein wenig weiter oben zu errichten. Nächtliches Schwimmen im Eiswasser steht nicht auf unserer Bucket List.

Die Ruhe des Eises

Als die letzten Spaziergänger verschwunden sind, setzen wir uns auf ein paar vorgelagerte Felsen und betrachten das Eis. Wie es da steht, im spiegelglatten Wasser, und geduldig darauf wartet, zum Meer zu gelangen. Es wird Monate dauern, vielleicht sogar Jahre, bis die einzelnen Berge den 40 km langen Fjord hinausgewandert sind, doch sie ertragen es in stoischer Ruhe. Dieser Anblick lehrt einen Gelassenheit.

Grönland-Ilulissat-Eisfjord-Abend
Der Abend gehört uns allein. Die Aussicht wird uns auf ewig in Erinnerung bleiben.

Obwohl nichts passiert, könnten wir stundenlang so sitzen und hinaus starren. Und plötzlich registriert man, dass die Eisberge anders stehen als noch vorhin, dass es doch Bewegung geben muss, die nur für die menschliche Wahrnehmung nicht begreifbar ist. Immer wieder knarzt und knackt es, manchmal grollt ein tiefer Donner aus der Mitte des Fjordes, wo die größten Eisberge sind.

Ein paarmal brechen kleinere Berge in unserer Nähe. Die Bruchstücke schaukeln minutenlang hin und her, bis sie ihre neuen Schwerpunkte gefunden haben. Die Schönheit und Gewalt der Natur lässt uns in Demut verharren. Die Sonne wirft noch bis spät in die Nacht ihre Strahlen in die Bucht und ebenso lange sitzen wir reglos da und genießen den Anblick. Es ist das perfekte Ende einer einzigartigen Reise.

Grönland-Eisfjord-Porträt
Schöner kann es nur werden, wenn die Fotografin sich zu mir setzt. Das perfekte Ende einer einzigartigen Reise.
Eisberge in Grönland – Mit der Arctic Umiaq Fähre zum Eisfjord von Ilulissat

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2 Gedanken zu „Eisberge in Grönland – Mit der Arctic Umiaq Fähre zum Eisfjord von Ilulissat

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