Sisimiut ist die mit 6000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Grönlands. Nach unserer Wanderung über den Arctic Circle Trail im August 2017 hatten wir hier einen Tag Aufenthalt. Das ist lang, denn in zehn Minuten hat man alles gesehen. Glaubst du nicht? Nun denn: In zehn Minuten hast du alles gelesen!
Hier findest du übrigens alle Artikel über unsere Reise durch Grönland!
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Bunte Häuser und Gerümpel
Aus der Nähe sehen die hübschen bunten Holzhäuschen gar nicht so übermäßig hübsch aus. Sie sind abgewetzter, als es auf Bildern den Anschein hat, vermutlich, weil man bei den hiesigen Witterungsbedingungen alle zwei Jahre streichen muss. Gefühlt steht vor jedem dritten Haus Malerzeug herum. Vor absolut jedem Haus steht zudem irgendeine Art von Gerümpel oder Zeug, was man sonst in eine Garage packen würde. Jetskis, Kabeltrommeln, Bauschutt, Boote, Maschinen aller Art.
Die Häuser stehen kreuz und quer, weil man bei dem felsigen Grund halt sehen muss, wie man seine Holzbalken oder sein Betonfundament am besten ausrichtet. Leitungen und Abwasserrohre sind dementsprechen ebenfalls alle überirdisch angelegt.
Sisimiut ist wunderschön gelegen, in einer malerischen Bucht mit Inseln davor und dem Kaellinghaetten-Massiv dahinter. Als Großstadt (jaha, haha, ich weiß!) und als nördlichster ganzjährig eisfreier Hafen des Landes ist ist sie mit allen Gütern stets versorgt. Leben würde ich hier trotzdem nicht wollen.
So umwerfend schön wir die Wildnis beim Wandern auf dem Arctic Circle Trail fanden, so öde finden wir auch diese Siedlungen Grönlands. Die immergleichen Autos fahren an uns vorüber, man hat das Gefühl, die Menschen drehen wie die Tiger im Käfig ihre Runden. Es gibt einen Porsche Cayenne im Ort, einen Hummer sogar und einen Mustang. Für maximal zwei Kilometer zum Supermarkt und zurück.
Es gibt Wohnkasernen, in denen vor einigen Jahrzehnten mal die Inuit angesiedelt wurden, um Hilfsgelder besser verteilen zu können. Davor sitzen Halbstarke wie überall sonst in der Welt. Nur diese haben – im Gegensatz zu den Kids, die in meinem Heimatort an der Bushaltestelle herumlungern – sogar eine gute Ausrede. Denn es gibt ansonsten einfach nichts zu tun.
Kulinarische Highlights
Der verrückte Franzose, ich meine den ganz besonder verrückten mit dem Kilo Mandeln zum Essen, lädt uns zum Abendessen ein. Als Dankeschön, dass wir ihm das Säckchen mit Reis überließen. Er hatte irgendwann tatsächlich so absolut gar keinen Bock mehr auf Mandeln und Müsliriege – wer hätte es gedacht – dass er den Reis ein paar Minuten in Wasser quellen ließ und ihn roh trank.
Er kann übrigens praktisch nicht mehr laufen. Seine Blasen taten ihm bald nach unserem Treffen beim Feuer so weh , dass er beschloss, nicht mehr anzuhalten. So machte er täglich 35 km und hielt nichtmal an, um an Flüssen nach geeigeneten Furten zu suchen. Seltsamerweise wurden seine Blasen dadurch nicht besser. Wie gesagt, die spinnen, die Gallier.
Es gibt Brote mit Fisch und Shrimps drauf. Verdammt lecker und offenbar verdammt frisch. Außer dem frischen Fang ist aber alles importiert: Das Brot, der Salat, die Gurken, die Tomaten, die Kräuter. Was wächst in Grönland überhaupt? Ich glaube zumindest in dieser Höhe absolut nichts. Früher hat man sich wohl ausschließlich von Fleisch und Fisch ernährt.
Am zweiten Tag essen wir mit dem anderen verrückten Franzosen, der, der um 9 Uhr Abends noch den Fluss überquerte und zwei Stunden weiter marschierte. Wir gehen zum Asiaten und genießen Fusionsküche mal anders: Es gibt ein klassisches Thailändisches Süß-Sauer mit Moschusochse. Auch sehr lecker. Beim Essen gibt’s hier wirklich ne Auswahl.
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Langeweile als Lebensmotto
Sisimiut ist die die zweitgrößte Stadt in ganz Grönland. Mit grade mal 6.000 Einwohnern. (Daneben wirkt die Hauptstadt Nuuk mit 17.000 fast schon wie eine Metropole.) Der Ort besitzt drei Busse, die fortwährend im Kreis fahren und alle paar Minuten vorbeikommen. Es gibt keinerlei Straßen nach draußen, abgesehen von Schotterpisten zum Trinkwasserreservoir, zum Elektrizitätswerk und eine kurze Straße zum Flughafen (= eine Landebahn und ein Wartehäuschen).
Oberhalb des Hafens liegen die Kirche und das Freilichtmuseum, ein paar Holzhäuser um eine Statue, die die traditionelle Lebensart der Grönländer zeigen sollen. Das Holz für die Häuser sind allerdings auch schon importiert, denn in Grönland wachsen nur im äußersten Süden ein paar mickrige Bäume. So richtig „traditionell“ sind eigentlich ja die Steinhäuser, die mit Torf abgedichtet sind (ein solches steht exemplarisch im Museum), aber da will keiner mehr drin leben, seitdem es Schiffshandel gibt. Ebenso wie die (für Nordvölker vermutlich) gesunde Fettleibigkeit heutzutage nicht mehr von Lebertran, sondern von Chips und Cola stammt.
„Was arbeiten die Menschen eigentlich in Grönland?“, frage ich die nette Dänin, die das Museum betreut.
„Oh, Vieles“, antwortet sie begeistert. Fischfang und Häuserbau fallen ihr ein. Und sonst? Etwas Tourismus, und in Sisimiut gibt es ja immerhin die Hochschule! Das ist allerdings interessant: Die Insel ist aufgrund ihrer Widrigkeiten so schlecht erforscht, dass man noch keine Ahnung hat, was er hier für Rohstoffe gibt. Man hofft auf Reichtum und bildet junge Minerologen aus.
„Und was kann man hier neben der Arbeit so treiben?“, hake ich nach.
„Die Menschen treiben viel Sport“, fährt sie mit leuchtenden Augen fort. Im Winter wird Hundeschlitten oder Skido gefahren, im Sommer geangelt. Nicht grade das, was ich zu Hause als Sport bezeichnen würde. Aber in Sisimiut gibt es tatsächlich eine Sporthalle, wo man allerhand Indoorsport treiben kann. Außerdem gibt es ein Kino und Veranstaltungszentrum.
Apropos Hundeschlitten. „Wir haben nur wenige Hunde gesehen“, sage ich zu der netten Dame. „Und alle waren außerhalb des Ortes.“
„Ja“, sagt sie. „Es ist den Leuten zu laut geworden, das ewige Gehäule. Drum wurden sie aus der Stadt verbannt.“ Außerdem, so klingt es zumindest durch, werden Schlittenhunde heute fast nur noch für Touritouren gehalten, und der Tourismus hält sich in Grönland halt in Grenzen.
Die Probleme der Einsamkeit
Die Probleme der Abgeschiedenheit und des langen Winters sind nicht zu leugnen. Alkohol darf deshalb nur sehr eingeschränkt verkauft werden, am Wochenende nur vormittags. Das führt dazu, dass uns ein junges Mädchen samstags um 12 Uhr entgegentorkelt. Sie zieht eine Fahne hinter sich her, die bis nach Kangerlussuaq reicht.
Der Grund für das Alkoholverbot ist wohl die häusliche Gewalt, die in Grönland gelegentlich zum Problem wird. Und noch ein dramatisches Beispiel zeugt davon, wie weit dieser Ort vom Rest der Welt entfernt ist: Internet kostet im Privathaushalt sagenhafte 100 Euro im Monat – und dafür bekommt man auch nur ein begrenztes Datenvolumen.
Wir erzählen der Dame von unserer Wanderung durch die Wildnis und von dem Feuer, das wir durchqueren mussten. „Ja“, sagt sie, „das ist dieses Jahr schlimm. Es brennt jeden Sommer ein bisschen, aber dieses Jahr ist es mehr als sonst. Nördlich von hier steht auch eine riesige Fläche in Flammen. Es ist der größte Brand in Grönland aller Zeiten – zumindeste der größte, den man je gefunden hat.“ Sie zuckt mit den Schultern. „Es ist ein großes Land und hier wohnen kaum Menschen.“
Es fehlen, erzählt sie weiter, schlicht die Kapazitäten, um solche Brände zu löschen. Uns fällt ein, dass der Rettungshubschrauber, der die verletzte Wanderin aus dem Trail rettete, von Air Greenland war.
Ja, sagt sie, in solchen Fällen müsse man sich abstimmen. Man unterstützt sich gegenseitig, denn es lohnt sich nicht, für alle Eventualitäten Ausrüstung parat zu haben.
Sisimiut bleibt am Ende für mich ein öder, aber faszinierender Ort. Öde, weil man schon nach wenigen Stunde das Gefühl hat, dass es hier nichts mehr zu tun gibt. Und doch ist es auch faszinierend, einen solchen Ort in einer solchen Abgeschiedenheit kennenzulernen.
Die einzigen spannenden Unternehmungen sind die Wanderungen in der Umgebung. Man kann aufs Kaellinghaetten-Massiv zum Beispiel. Oder zu einem verlassenen Geisterort im Süden. Nach unserer 9-tägigen Wanderung über den Arctic Circle Trail ist uns im Augenblick aber eher nach Füße hochlegen.
Vor dem Freilichtmuseum steht ein Sinnbild dieses Widerspruchs: Die Kieferknochen eines Grönlandwals bilden das Eingangstor zum kleinen Platz im Zentrum. Die Knochen waren mal sieben Meter lang, der betroffene Wal wohl um die 20 Meter. Sie mussten für den Transport zersägt werden und dann noch zwei Meter tief in den Boden zementiert werden, und dennoch sind sie noch immer beeindruckend groß. Wirklich faszinierend.
Jetzt kommt der öde Teil: Dieser riesige Wal wurde vor 100 Jahren gefangen. Seither scheint nichts aufregendes mehr passiert zu sein. Man kann es sich gut vorstellen.
Fakten und Tipps
Alle hier erwähnten Lokalitäten sind auf Google Maps gut zu finden.
Unterkünfte
Das Hostel Vandrehjem in Sisimiut ist für Grönländische Verhältnisse sehr günstig. Ca. 25 Euro kostet die Nacht im 4-Bett-Zimmer mit Gemeinschaftsküche und -bad, und ist sehr zu empfehlen. Zelten kann man außerhalb des Ortes wie immer kostenlos. Zum Vergleich: Das einzige nach westlichem Standard gute Hotel, das Hotel Sisimiut, kostet im Doppelzimmer 200 Euro.
Einkaufen
Sisimiut hat den nördlichsten eisfreien Hafen Grönlands und als Metropolregion, die es in Grönland darstellt, sind die Supermarktregale voll und fast so günstig wie in Deutschland. Der Supermarkt Pisiffik ist der größte und sei auch deshalb erwähnt, weil es in dieser Ecke so allerhand weitere Shops gibt: Eine Bank, ein Café und mehrere Kleidergeschäfte und Restaurants.
Essen
Es gibt eh nur eine Handvoll Orte, an denen man Essen kann, und die erfährst du ohnehin, sobald du mit dem ersten anderen Tourist sprichst. Drei davon kann ich empfehlen:
Sømandshjemmet – Ein Hotel unterhalb der Kirche, oberhalb der kleinen Bucht. Hier gibt’s günstige dänisch-grönländische Kost, zum Beispiel superleckere und frische Fischbrote.
Der Asiate gegenüber vom Pisiffik-Supermarkt macht Asiatisch mit Moschusochse. Außerdem Burger, Fritten und mehr. Durchaus lecker.
Das Café im Kulturzentrum am künstlichen See ist hell und modern und läd zum Verweilen ein. Der Kaffee ist gut, der Kuchen ist zwar lecker, aber für Zuckerfetischisten. Die Grönländer lieben die Nachos.
Wer ansonsten schön sitzen möchte, sollte mal das Restaurant im Hotel Sisimiut probieren. Soll nicht ganz billig sein, aber sehr gute Dänische und Grönländische Kost bieten.
Des weiteren gibt’s noch nen Pizza-/Burgerladen beim Pisiffik und das war’s dann auch schon meines Wissens.
Ausflüge
Zwei Wanderungen bieten sich an: Aufs Kaellinghaetten-Massiv bzw., wer nicht so hoch kraxeln will, in das Tal daneben. Das ist wunderschön und quasi der Anfang, wenn man den Arctic Circle Trail von Sisimiut aus wandern will. Außerdem gibt es ca 15 km im Süden eine verlassene Siedlung, die ein besonderes Flair verströmen soll. Die sollte man aber am besten in zwei Tagen erkunden.
Ansonten kann man sicher Waltouren machen, und im Winter Schlittenhundertouren. Einfach mal im Hotel fragen. Auch zu empfehlen, wenn man mehr Informationen über Sisimiut möchte: Ein Gespräch mit der netten Dame im Freilichtmuseum.